Eines Tages holte mich mein Vater von der Schule ab. Siebte
und achte Stunde Sport, danach fuhr kein Bus mehr aus dem Kaff meines
Gymnasiums ins Kaff meines Elternhauses. Wir hatten am selben Tag Geburtstag,
mein Vater und ich, und waren dementsprechend, was auch immer man von
Sternzeichengelaber an sich halten möge, vom selben schweigsamen Schlag und uns
eigentlich auch sonst recht ähnlich. Nach fünf wortlosen Minuten Antenne
Mecklenburg-Vorpommern sagte er, den Blick nicht von der Windschutzscheibe
wendend, Mama hätte etwas ganz blödes gemacht. Dieser Ton in seiner Stimme war
ungewöhnlich, eine seltsame Mischung aus Bedauern und Empathie. Er erklärte,
dass sie meinen Schreibtisch aufräumte, inklusive sämtlicher Schubladen, was
ich eigentlich schon seit einem halben Jahr hätte machen sollen, jaja, mach ich
ja, irgendwann. Ohne es direkt auszusprechen, war mir klar, was er mir
mitteilen wollte: Dass sie mein über Jahre gesammeltes Konglomerat an
Wichsvorlagen fand. Ohne es auszusprechen war auch ihm klar, dass ich es
verstand.
Scheiße.
Etwa sechs oder sieben Jahre später, mein Vater war längst
verstorben und ich zum Studium weggezogen, half ich meiner Mutter beim
Entrümpeln unseres Hauses. In einem der Schuppen fand ich seine
Modelleisenbahnen - alte Berliner TT-Spuren; Dampfloks, Waggons, Schienen, alles drum und dran.
Kindheitserinnerungen kamen auf und ich entschloss mich, das ganze Zeug
mitzunehmen, wer weiß, irgendwann bin ich auch mal 50 und hab vielleicht Bock
darauf, was man in einem solchen Kurzschlussmoment der Nostalgie halt denkt.
Ein paar Bücher waren auch dabei, technischer Kram über die Elektronik des
Schienennetzes und so'n Zeug. Praktisch, dachte ich, hab ja schließlich keine
Ahnung davon, guckste mal durch, was man davon noch gebrauchen könnte. Inmitten
dieses Stapels Literatur befanden sich außerdem, clever versteckt, zwei uralte Pornohefte.
Praktisch, dachte ich, guckste später mal durch, was man davon noch gebrauchen
könnte.
Später also, allein in meinem alten Jugendzimmer, versuchte
ich, diesen Zeitschriften irgendeinen Nutzen abzugewinnen. Mit zunehmender
Dauer jedoch wurde mir klar, dass das nichts wird. Diese 80'er Bräute mit ihren
Dauerwellen, um Himmels Willen, so sah meine Mutter auch mal aus als ich klein
war. Und dann diese Behaarung überall und diese wahnsinnig natürlich aussehenden
Brüste auf leicht vergilbtem Papier. Wie degeneriert bist du eigentlich, dachte
ich, dass dich sowas nicht anmacht, deine Freundin hat schließlich auch
Intimbehaarung und natürliche Brüste. Aber es ging hier nicht um Sex, es war
eine Wichsvorlage, und da ist man heute mit anderen Ansprüchen sozialisiert
worden, so merkwürdig das auch ist. Doch das Grundproblem war, und das wurde
mir erstaunlich spät bewusst, der Gedanke, dass sich mein verstorbener Vater
irgendwann mal diese Hefte kaufte, und dass sich mein verstorbener Vater
irgendwann mal dazu einen runterholte.
Nie wieder in meinem Leben verschwand eine Erektion so
schnell. Was blieb war Scham und Entsetzen.
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